Interview mit dem Präsidenten des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau


Herr Lindner, wie viele Fachkräfte fehlen aktuell im deutschen Maschinen- und Anlagenbau?

Etwa 5000 Facharbeiter und 4000 bis 5000 Ingenieure.

Das klingt nicht dramatisch angesichts von gut 910.000 Beschäftigten in der Branche.

Die momentane Lage ist noch nicht dramatisch, aber sie kann es in ein paar Jahren werden.

Was befürchten Sie?

Wie steuern in drei bis vier Jahren auf einen besorgniserrgenden Engpass zu. Denn dann gehen zum einen zahlreiche Arbeitnehmer in den Ruhestand, andererseits kommen wegen geburtenschwacher Jahrgänge viel zu wenig junge Menschen nach.

Das war absehbar. Warum wurde nicht früher gegengesteuert?

Der häufig zu hörende Vorwurf, auch der Maschinen- und Anlagenbau habe nicht aus früheren Fehlern gelernt und stehe nun im wirtschaftlichen Aufschwung unplötzlich vor der sich auftuenden Facharbeiterlücke, ist unberechtigt. Wir haben unsere Lehren gezogen.

Welche?

Es gibt seit vielen Jahren eine Fülle von Aktivitäten, zum Beispiel Think.ing, um junge Menschen für technische Berufe zu begeistern. Oder die intensive Zusammenarbeit mit Schulen und Universitäten sowie spezielle Angebote wie Girls's Day für junge Frauen.

Die Frauenquote im Maschinen- und Anlagenbau ist zwar etwas gestiegen, beträgt aber immer noch erst rund sieben Prozent. Was ist da schief gelaufen?

Das fängt schon in der Erziehung an. Jungen bekommen eine Eisenbahn geschenkt, Mädchen zumeist Puppen. Dabei ist ein absolutes Märchen, dass Frauen nicht für technische Disziplinen geeignet oder mathematisch unbegrabt wären. Wir müssen sie sowohl als Eltern auch als Lehrer stärker motivieren und fördern. Da hat auch die Wirtschaft sicherlich in der Vergangenheit zu wenig getan.

Was müssen die Unternehmen leisten?

Ganz wichtig ist es, für eine familienfreundliche Umgebung zu sorgen und flexible Arbeitszeiten anzubieten. Wenn wir es nicht schaffen, mehr Frauen für technische Berufe zu gewinnen, können wir die sich auftuende Fachkräfte- und Ingenieurlücke in einigen Jahren nur schwer füllen.

Aber warum entscheiden sich denn überhaupt zu wenig Menschen für einen Beruf im Maschinenbau oder in der Elektrotechnik?

Teilweise herrschen abenteuerliche Vorstellungen, dass der Facharbeiter mit triefenden Händen in schmutziger Umgebung arbeiten muss. Wenn Lehrer und Schüler in die Betriebe kommen, sind sie dann völlig überrascht, nahezu aseptische Arbeitsbedingungen vorzufinden. Immerhin beträgt die Ausbildungsquote im Maschinenbau derzeit im Schnitt aber rund sieben Prozent. Teilweise haben die Firmen aber Schwierigkeiten, geeignete junge Menschen zu finden.

Und wie viele junge Menschen schließen ihr Maschinenbaustudium gar nicht erst ab?

Die Abbrecherquote beträgt derzeit leider etwa 50 Prozent.

Was machen die Hochschulen falsch?

Die Ursachen sind oft früher zu finden. Er herrschen teilweise Illusionen und Unkenntnis über die Voraussetzungen und die Inhalte der technischen Studiengänge. Und viele junge Menschen bringen von den Schulen schlicht nicht mehr die nötigen Grundkenntnisse in Mathematik mit. Das Niveau ist deutlich gesunken. Viele Hochschulen fangen inzwischen schon mit Vorbereitungssemestern an, was letztlich nichts anderes ist als eine Art Nachhilfeunterricht im Fach Mathematik. Aber viele Studenten werden nach wie vor alleine gelassen. Da müssten die Hochschulen endlich mehr leisten.

Politiker und Vertreter wissenschaftlicher Institute werden derzeit für den erleichterten Zugang von Fachkräften aus dem Ausland, um das Problem kurzfistig zu heilen. Sind die Hürden zu hoch?

Ja, die Einkommensgrenze für eine ausländische Fachkraft, die in Deutschland arbeiten will, liegt derzeit bei 66.000 Euro brutto im Jahr. Das ist vollkommen unrealistisch und letztlich ein Ausschlusskriterium. Denn soviel erhält auch ein deutscher Ingenieur erst nach mehrjähriger Berufspraxis.

Ist eine Senkung auf 40.000 bis 45.000 Euro, über die gerade diskutiert wird, realistischer?

Ja, aber es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich allein damit das sich anbahnende Fachkräfteproblem lösen ließe.

Warum?

Nehmen Sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Mai 2011 an, die es Beschäftigten aus mittel- und osteuropäischen Staaten erleichtert, in Deutschland und der gesamten EU zu arbeiten. Es ist nicht zu erwarten, dass massenhaft Ingenieure zum Beispiel aus Tschechien in die Bundesrepublik strömen werden. Denn die werden zu Hause ebenfalls gebraucht. Das trifft auch auf Indien, Brasilien und China zu. Zumal Fachkräfte dort mittlerweile relativ gut verdienen und sie sich wegen der noch niedrigen Lebenshaltungskosten mehr leisten können als zum Beispiel in Deutschland. Warum sollten sie da zu uns kommen?
Wir werden um diese Menschen aktiv werben müssen.

Was bleibt zu tun?

Die Hauptarbeit werden wir hier in Deutschland selbst leisten müssen. Intensivere Ausbildung, verstärkte Frauenförderung und auch neue Konzepte, um Menschen über 60 Jahre im Betrieb zu halten und ihre Erfahrung produktiv zu nutzen.

Bis zum nächsten Abschwung?

Unternehmer, die so agieren, werden die Quittung über kurz oder lang erhalten. Die internationale Konkurrenz wird immer härter. Und dafür muss sich gerade eine stark mittelständisch orientierte Branche wir der deutsche Maschinen- und Anlagenbau rechtzeitig wappnen. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Mehrzahl der etwa 6000 Firmen in unserem Wirtschaftszweig dies erkannt hat. Die letzte Krise hat ja gezeigt, dass die weit überwiegende Mehrheit der Unternehmen ihre Mitarbeiter auf Biegen und Brechen gehalten hat, oft entgegen betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 30.12.2010